PROSA

CHRISTOPH ALBERTI | KUNST

MALEREI – MATERIALKUNST – OBJEKTKUNST

Wikingerschiff | Christoph Alberti | 2013

Als der Typ studierte, wunderte er sich. Er wunderte sich über die Menschen an sich. Er wunderte sich über Umgang und Sitte. Er wunderte sich darüber wie mit ihm versucht wurde umzugehen. Er wunderte sich über Mitstudenten, Dozenten, Vermieter, Passanten, Nachbarn. Er schwieg fast immer, denn er war noch nicht fertig mit dem Wundern.

Die Menschen um den Typ wunderten sich. Sie wunderten sich über sein Aussehen, seine Schweigsamkeit. Sie wunderten sich über die Art, wie er ihre Fragen beantwortete, Aufgabenstellungen löste. Sie wunderten sich auch über das hässliche beige-grüne Moped auf dem er herumfuhr. Sie wunderten sich über den lächerlichen graugrünen Helm den er dabei trug.

Dabei fummelten Sie irgendwelche Hälmchen aus ihren Vorgärten, beantworteten Fragen richtig und lösten Aufgaben wie es vorgesehen war.

Dann entschieden Sie, den Typen loszuwerden und ein Büro musste aufgesucht werden, in dem ein Pedell oder so etwas saß und finster blickte. Eine Aufgabe wurde gestellt. Der Typ war nun fertig damit, sich zu wundern. Nun arbeitete er sechs Wochen an seiner Kündigung. Ein Schiff für seine Abreise entstand und fuhr bereits. Wenn ich abreise, dann standesgemäss, dachte der Typ. Das Schiff tauchte in allerlei Veröffentlichungen auf. Die Kündigung wurde nicht zugestellt. Da war es wieder Zeit, sich zu wundern.

 

Der Mann im Häuschen | Christoph Alberti | 2014

Ich kannte einen Mann der wohnte in einem kleinen Häuschen.

Das Häuschen des Mannes stand auf einer Wiese direkt an einem Meer.

Immer saß der Mann in dem kleinen Häuschen und blickte auf das Meer.

Er tat nie etwas anderes, so hatte es den Anschein.

Das Häuschen stand auf der Wiese direkt am Meer, der Mann darin, saß und blickte auf das Meer.

Nie tat er etwas anderes als auf das Meer vor seinem Häuschen zu blicken.

Er saß und blickte auf das Meer und dachte nach.

Er saß, blickte auf das Meer vor seinem Häuschen und dachte nach.

Er saß, dachte und blickte auf das Meer.

Sonst tat er nichts so hatte es den Anschein.

Diesen Eindruck machte der Mann, der dort in seinem Häuschen saß, auf das Meer blickte und nachdachte.

Eines Tages zog der Mann aus dem Häuschen aus.

Er blickte nicht mehr auf das Meer nachdem er aus dem kleinen Häuschen auszog.

Er war ein Mann, der lange auf das Meer hatte blicken können.

Er war ein Mann denn er hatte lange auf das Meer blicken können.

Er hatte in dem kleinen Häuschen gesessen, auf das Meer geblickt und nachgedacht.

 

Kaffee oder Tee | Christoph Alberti | 2014

Moderator: Sehr geehrte Damen und Herren hier im Studio, liebe Damen Zuhause an den Fernsehgeräten, herzlich Willkommen zu unserer heutigen Ausgabe des RTL-Frühstücksfernsehens. Wir haben wieder tolle Gäste zu uns in das schöne RTL-Frühstücksfernsehenstudio eingeladen.

Der Einzige der unserer Einladung gefolgt ist, sitzt hier neben mir auf unserem RTL-Frühstücksfernsehsofa und ist, der uns sicherlich Allen bekannte und aus dem diplomatischen Dienst zu uns kommende Herr Joachim von Winterwinth.

Ich sehe gerade das da wohl auf unserem RTL-Frühstückstelepromter ein Schreibfehler vorliegt, den Sie liebe Zuschauer zwar nicht sehen können, ich Ihnen aber auch nicht vorenthalten möchte und zwar steht hier Winterwind mit th am Ende.

Gast: Nein, nein das ist korrekt! Ursprünglich wurde der Name zwar mit einem D am Ende geschrieben, daß habe ich mit meiner Volljährigkeit und als einziges Kind meiner Eltern aber ändern lassen. Nicht etwa weil wir eine extrem blutige

SS-Vergangenheit hätten, sondern weil ich in meiner Gymnasialzeit häufig deswegen gehänselt wurde.

Moderator: Sie wurden sicher zu Recht wegen ihrer Nazivergangenheit gehänselt. Aber jetzt muss ich doch mal meine Redaktion fragen, was das nun wieder soll, ich wusste ja nicht das ich hier zum Frühstück mit knallharten Verbrechern über Belanglosigkeiten plaudern soll.

Gast: guckt etwas verstört

Moderator: Die Redaktion sagt mir ich soll einfach mal weitermachen, das wird ja vielleicht ganz geil.

Gast: Ich hatte eigentlich gar nicht die Nazivergangenheit meiner Familie ansprechen wollen. Worauf ich eigentlich hinaus wollte war meine Opferrolle in der Gymnasialzeit.

Moderator: Ach so! Ich brauch jetzt erstmal ein Brötchen. Bitte bedienen Sie sich doch. Wir haben Marmelade, Käse, und von unserem Hauptsponsor Nutella, Nutella.

Gast: schneidet sich ein Brötchen auf

Moderator: kauend

Herr von Winterwinth warum wurden Sie denn im Gymnasium nun gehänselt? Ihnen muss man ja alles aus der Nase ziehen!

Gast: Ja richtig, wir waren ja Gott sei dank bei meinem Namen stehen geblieben. Meine damaligen Mitschüler riefen mich immer statt Winterwind, "kalter Pups".

Moderator: Interessant! Sie sind ja heute extra aus Bad Schwartau angereist um uns von Ihrer killer Vergangenheit bei den Nazis zu berichten. Unser verehrtes Publikum hier im Studio hatte freilich nicht eine so weite Anfahrt. Vielleicht kann die Kamera ja mal ausnahmsweise durchs Publikum schwenken. Wie man sieht, sind wir heute morgen um Fünf mit einem Reisebus durch Köln Kalk gefahren und haben einfach an den städtischen Bushaltehäuschen angehalten und wer aus versehen eingestiegen ist, sitzt jetzt hier und labt sich an, noch aus der Adventszeit stammenden, Schokodominosteinen.

Gast: Ich habe ein bisschen den Eindruck die Leute verstehen uns gar nicht.

Moderator: Ich auch. Wir haben aber herausgefunden, daß wenn unsere Praktikantin mit einem neuen Teller, alter Dominosteine auftaucht klatschen diese Leute frenetisch.

Gast: Ach!

Moderator: Vielleicht können wir das unserem Gast mal zeigen. Katrin kannst du bitte mal kommen...

Praktikantin taucht mit einem Teller voll Dominosteine auf.

Publikum beginnt johlend zu klatschen.

Moderator: ...und jetzt geh doch bitte kurz hinter die Bühne und komm ohne den Teller noch einmal heraus.

Praktikantin ab

Praktikantin betritt die Bühne wieder, jedoch ohne den Teller.

Publikum teilnahmslos.

Gast: Toll! Einige scheinen sogar eingeschlafen zu sein!

Moderator: Noch etwas Kaffee oder Tee?

Gast: Ja gern!

Moderator gießt nacheinander Kaffee und Tee in eine Tasse.

Gast: Danke!

Moderator: So Herr von Winterwind, sie sind ja sicher nicht den ganzen weiten Weg aus Bad Schwartau in ihrem SUV angereist, um uns hier unsere Brötchen wegzufuttern. Was ist denn nun mit Ihrer diplomatischen Karriere bei der SS?

Gast: empört

Nun hören Sie mal, ich war nie bei der SS! Ich bin erst kurz nach dem Krieg geboren.

Moderator: Na, das kann ja Jeder sagen!

Gast: Lieber würde ich von meinem Hobby erzählen!

Moderator: Oje!

Gast: Ich hab Ihnen da was mitgebracht.

Moderator: erstaund

Mir?

Gast: Holt eine Plastiktüte hervor, wickelt ein pinkes, unförmiges Holzgebilde aus und übergibt es dem Moderator

Moderator: ratlos

Was soll ich denn damit!?

Gast: In meiner Freizeit bastel ich, im Hobbykeller in meiner Villa in Blankenese, Holzspielzeug aus alten Möbeln für die Armen- und Waisenkinder aus meinem Stadtteil. Ich fahre dann mit meinem SUV zu den sehr nahegelegenen Schulen und spreche die Kinder aus dem Autofenster heraus an. Wenn sie dann zutraulich sind, gebe ich ihnen ein Spielzeug.

Moderator: Gute Idee! Ich war mal mit meinem Neffen in so ei'm Tierpark wo man mit dem Auto durchfahren kann. Da waren dann so Affen die kamen auch an's Autofenster und wenn man Glück hatte fraßen die einem die Nüsse direkt aus der Hand.

Gast: Ja, daß ist so ähnlich.

Moderator: Ich denke die Schulkinder kacken aber nicht auf ihr Autodach oder?

Gast: Nein, das ist bisher noch nicht vorgekommen.

Moderator: nachdenklich

Ich glaube das war der Vogelpark Walsrode.

Gast: Ich war schon mal in einem Zirkus aber da gab es keine Tiere mehr, ausser Ziegen.

Moderator: Und warum ist das Holzding ausgerechnet pink angemalt.

Gast: Ich dachte Ihre Kollegin würde heute hier mit mir sitzen.

Moderator: Aha. Ach so, Katrin du kannst wieder von der Bühne runtergehen. Du stehst ja auch die ganze Zeit im Bild vor Herrn Wintersturm.

Gast: ...winth!

Moderator: Was machen sie denn noch so?

Gast: Darf ich Jemanden grüssen?

Moderator: leicht genervt

Ach nee!

Gast: Ich hab mich über Ihren Anruf, ob ich nicht mal in die Sendung kommen wolle nämlich sehr gefreut!

Moderator: Echt!? Katrin, hol doch nochmal den Teller, sogar die erste Reihe im Publikum ist schon am wegdämmern.

Gast: Wie sind sie eigentlich auf mich gekommen, wegen meiner Dienste im Ausland oder meinem sozialen Engagement?

Moderator: Die Auswahl ist völlig wahllos!

Gast: vergnügt

Na, da hab ich ja doppelt Glück! Ich grüsse meine Frau, die jetzt sicher daheim vor dem Fernsehapparat sitzt und mich hier sieht!

Moderator: Ach, das ist ja jetzt doch ganz süß von Ihnen! Wie heißt denn Ihre Frau?

Gast: Annedore.

Moderator: oh!

Gast: Ich möchte meiner Annedore noch etwas sagen.

Moderator: Na dann aber flott unsere Sendezeit ist fast um!

Gast: Liebe Annedore ich möchte das du nicht mehr Nachts heimlich in meiner Nase bohrst!

Praktikantin erscheint mit Teller

Publikum: frenetischer Applaus!

 

Die Serviertochter | Christoph Alberti | 2015

Drei Männer im besten Alter saßen zusammen in einer beliebigen, mittelgrossen, deutschen Stadt, in einer relativ hippen Kneipe mit angeschlossener Restauration.

Man kannte sich aus Kindertagen und ist bis heute in einer, mit keiner anderen Art der Freundschaft vergleichbaren Form, wie der aus Kindertagen, miteinander verbunden. Selten sind diese Treffen und häufiger sind sie auch gar nicht gewünscht, da nicht nötig. Was ebenfalls die Güte der Freundschaft zum Ausdruck bringt.

Die Männer sprachen über Dies und Das. Da war die Rede, in leichtem Ton, von Gebrechen, die zwar noch nicht ernst genommen, trotzdem mit dem Wissen des unausweichlichen versehen, vorgetragen wurden. Es wurde wohl auch über Autos gesprochen, über Frauen die es mal gab, auch ein wenig über die Eigene. Die Arbeit wurde an diesem Abend nur gestreift. Als man dazu überging zu resümieren wie man früher die Sau durchs Dorf getrieben hat und wie unspektakulär einem das Tun der jungen Leute von heute vorkommt, fiel der Blick speziell auf eine Kneipe in Sichtweite, die an einem solchen Abend bereits fast leer zu sein schien, was zu damaliger Zeit undenkbar gewesen wäre. Sagte der eine Mann, daß die Kneipe, obwohl damals zwar häufig Mittelpunkt der Sautreibereien, eigentlich immer schon kacke war. Von den beiden anderen Herren bestätigendes Nicken. Es meldete sich noch eine vierte Person zu Wort, die im Rücken zweier der Herren, einen Tisch neu eindeckte und nachdem sich die, Beiden auf ihren lehnenlosen Sitzmöbeln umgewandt hatten, von allen Dreien als Serviertochter eingeordnet wurde. Die Kellnerin sprach, "Hier sei das Personal ja auch viel netter". Die Herren brummten nach einer Bedenkpause etwas Zustimmendes. Sie fuhr fort zu berichten wie sie selbst nach nur zwei Tagen, in dem als kacke bezeichneten Wirtshaus gearbeitet hätte und dann gekündigt worden wäre. Nach einiger Zeit hätte sie von irgend Jemand ihres Bekanntenkreises zugehörigem den Kündigungsgrund erfahren: Sie hätte zu kurzes Haar und wäre oben herum nicht gut genug ausgestattet gewesen. Dabei fuhr sie sich mit der Hand durch ihr zu einem Pferdeschwanz gebundenes, etwa schulterlanges, blondes Haar. Die Herren nahmen, man hätte fast sagen können, offiziell die vergleichsweise junge Frau in Augenschein. Die Oberweite war, obwohl durch die eng anliegende Kleidung gut abzuschätzen, tatsächlich nicht der Rede wert. Ob einer der drei Herren auch die Länge des Haares ins Maß genommen hat, hätte nicht mit Sicherheit berichtet werden können.

Verwirrt über die offenherzige Aussage der Kellnerin, dem angesprochen werden von einer jungen Frau und dem Ring am eigenen Finger, entstand eine Pause, in der die Herren in Gedanken den Kündigungsgrund zwar billigten, durch die Offenherzigkeit und Jugend der Kellnerin nach einem weiteren Moment aber natürlich als unmöglich und beleidigend kommentierten. Dann versiegte der weitere Austausch mit der nicht unansehenlichen jungen Frau.

Unzufrieden wanden sich alle wieder ihren Getränken zu. "Früher wäre so ein Gespräch anders verlaufen." sagte der Eine. Kurz darauf war die Stimmung, nachdem einige Erinnerungen zu diesem Thema ausgetauscht worden waren aber wieder deutlich besser.

Die Kellnerin verabschiedete sich später mit fröhlichem Winken in den Feierabend von den Dreien. Und mindestens einem von Ihnen kam die Idee, ob nicht daß von drei Männern gleichzeitig in Augenschein genommen werden ihrer geringen Oberweite, dazu geführt haben könnte, den Abend für die Serviertochter zu einem Gelungenen werden zu lassen.

 

Des Jubilaren Laudatio | Christoph Alberti | 2015

In Ermangelung eines adäquaten Ersatzes für Thomas Gottschalk tritt ein festlich gekleideter, aber bereits fortgeschritten ergrauter, vollkommen unbekannter Mann an ein – für Gala-Sendungen typisch – futuristisches Rednerpult.

Er trägt, etwas spröde, folgende unangenehm, sperrige Laudatio für einen per Wahlverfahren gewählten und nun zu kührenden Menschen vor:

 

Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal, liebe Gäste daheim an den TV-Bildschirmen, liebe Kinder, die von Zuhause an den Volksempfängern oder, wie sagt man heute, an den Transistorradios zugeschaltet sind. Ich darf Sie alle ganz herzlich zu diesem festlichen Anlass im Namen aller Verantwortlichen, Organisatoren und ehrenamtlichen Helfern begrüßen, ja ich habe sogar die Ehre, Sie alle hier begrüssen zu dürfen, muss ich schon fast sagen!

Es ist mir eine Freude gewesen als ich erfahren habe, dass ich es bin, der Sie alle, ob hier vor Ort, die vielen Angereisten aus Nah und Fern, die mit Bus und Bahn oder dem eigenen PKW angereist sind, und ich darf ganz persönlich an dieser Stelle einfügen, dass diese Arten der Anreise ja heutzutage nun wirklich keine Freude mehr bereiten, begrüßen zu dürfen und es ist mir auch jetzt in diesem Augenblick eine Freude, eine Freude des Begrüßens und die gilt natürlich, so viel Zeit muss sein, auch für all jene, denen es eventuell aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich war, zu uns zu kommen, hier in

die schöne, festlich beleuchtete Münsterland-Halle. Wir sind heute Abend hier, um die, seit Monaten medial extrem aufgeputschte, geheime Briefwahl des "Idealen Zeitgenossen" medienwirksam bekannt zu geben, das Ergebnis dieser von mir weiter oben als "medial bis zum abwinken", wie meine Tochter zu sagen pflegt, angeheizten, postalische Wahl, im Verborgenen entschieden, bekannt zu geben und Sie alle fiebern dem Ergebnis genau wie ich entgegen. Auch ich weiß allerdings noch nicht, wer dieser "Ideale Zeitgenosse" sein könnte, aber in dem mir hier auf meinem gläsernen Rednerpult vorliegenden goldenen, mit so Glitzersteinchen verziert vorliegenden Briefumschlag – vielleicht kann das ja eine Kamera einfangen – steht ein Name. Ein Name, den wir alle sehnsüchtig erwarten, ein Name der nur der eines Mannes sein kann, denn Frauen sind von der Wahl des "Idealen Zeitgenossen" kategorisch ausgeschlossen, sonst hätte es heißen müssen "Der/die Wahl/In des/der idealen Zeitgenossen/In" und weil diese Schreibweise so schrecklich nervt, wurde von einem Komitee, unter Ausschluss der Öffentlichkeit natürlich, entschieden, Frauen einfach wegzulassen und wer könnte es diesem Komitee verdenken, ein Name also wie ein Büchsenknall, ein Name der unter die Haut gehen wird bekanntzugeben, den wir alle, meine sehr verehrten Gäste hier in der Siegerlandhalle und draußen überall im Land, nicht mehr vergessen werden.

Bevor ich diesen Umschlag nun aber aufreiße und den Namen, auf den wir alle so warten, mit sich überschlagender Stimme hier in dies Mikrophon schreien werde, haben wir nun einen international gefeierten Star aus Übersee eingeladen, der seinen derzeit aktuellen und sowieso schon überall herauf- und herunterdudelnden Pophit zum besten geben wird.

Und hier ist der Intenational Popstar!

(Musik)

Nun, da der internationale Popstar seinen Vortrag beendet hat, lassen sie mich einige ganz persönliche Worte zu dem ominösen Menschen sagen, dem dieser Abend gewidmet sein wird, dessen Namen wir alle leider

noch nicht kennen. Und lassen Sie mich die Spannung auf die Spitze treiben, indem ich ihn als Mixtur aus Marcel Duchamp, Marcel Reich-Ranicki und Oliver Bierhoff beschreibe.

Sicher wundern Sie sich über diese Mischung der Charakteren, die ich Ihnen, liebe Gäste, gerade genannt habe, aber sein

Sie unbesorgt, denn ich werde im weiteren Verlauf des Abends für Aufklärung sorgen. Natürlich nicht Aufklärung im eigentlichen Sinne, sondern im Sinne dieses Anlasses. Als ich den Namen in diesem Briefumschlag zum ersten Mal begegnete bzw. dem Mann der den Namen trägt und dies bis heute nie bereut hat, damals noch ein kleiner Junge war, fuhr er gerade auf einem Einrad zu seiner ersten Party mit Saufen und so.

Oh, ich sehe gerade, ich habe die Seiten meiner Rede falsch sortiert, das mit dem Einrad kommt erst später dran. Entschuldigen Sie, das ist sicher die Aufregung, die auch mich zusehends befällt. Ich habe, wie man mir gerade mitteilt, bereits Speichelknödel in den Mundwinkeln vom vielen Reden, vielleicht kann eine Kamera ja wenigsten das einfangen,

wenn Sie wollen?

Angefangen hat alles, wie bei den meisten von uns, mit einer Geburt. Obwohl ich nicht persönlich dabei war, war es eine Geburt mit allem PiPaPo. Als die Splatteraction vorbei war, wurde selbst den anwesenden Ärzten klar, dass, wer mit einem kompletten Werkzeugkasten im Arm durch den Geburtskanal schlittert, natürlich seine Zeit braucht. Trotzdem waren alle froh, dass es nun geschafft war und feierten das freudige Ereignis ausgelassen bis in die frühen Morgenstunden. Am nächsten Tag fing der Vater des hier gegen Ende der Sendung genannten, gemeinsam mit seinem Sprössling an, das erste Liegefahrrad, bei dem man nicht, wie auf einem Gynäkologenstuhl – davon hatten Beide nun genug, sondern wie auf einem Rennpferd platznimmt, zu schweißen. Das klang diesen beiden Konstrukteuren wie Honig in der Suppe. Am Ende war das Fahrrad fertig!

Dann kam aber der Moment, den ich gerade eben bereits vorgriff, ich aber gern für die eben erst eingeschaltet Habenden wiederhole, wo der später namentlich genannte auf einem Einrad zu seiner ersten Fete fuhr, schon ziemlich bald.

Vorher wurde derjenige welche noch eingeschult, dann wurde ein Schulwechsel vollzogen, da den Eltern, des noch genannt werdenden, klar wurde, dass es noch weitaus kompliziertere Wege als den bisher gewählten gibt, ein Kind in eine Schule zu schicken, beziehungsweise zu bringen. Sie wählten deshalb anstelle der örtlichen Durchschnittsdorfpenne eine extrem weit entfernt und von allen Nachbarn und Angehörigen verachtete Waldorfschule, die nur mit größtem Aufwand, verschiedenen Bussen mit mehrmaligem umsteigen und strapatiösen Aufentalten bei ständigem, nasskalten Regenwetter in mit Nazikram beschmierten Bushaltehäuschen zu erreichen war. Den Eltern gefiel dieser beschwerliche Weg so gut, daß sie noch drei weiter Kinder gebaren, die sämtlich diese peinigende Pilgerreise anzutreten hatten. Ach, da fällt mir noch ein, wie der Junge nach seiner ersten – ja, Anreise muss man wohl sagen – das Klassenzimmer betrat, in dem bereits

37 seiner, von nun an von Ihm als Mitschüler betrachtet werdendenmittelgroßen Kinder herumtobten. Die Klassen damals waren so groß, dass manche Schüler vom Lehrorgan zum ersten Mal nach ihrem Namen gefragt wurden, wenn ein Brief an die Eltern wegen besonders schlechtem Betragen ihres Kindes geschrieben werden musste. Einige Schüler gingen vollkommen unauffällig durch die gesamte Schulzeit und bekamen am Ende einfach so das Abitur, weil es den Pädagogen unangenehm war, sich einzugestehen, dass es nie eine Anmeldung gegeben hat. In der ersten großen Pause habe ich versucht, dem neuen Jungen seine Armbanduhr abzuschnacken, da es mir zu dieser Zeit eine mir rückblickend unverständliche Freude bereitet hat, die meinen Mitschülern abgeluchsten Uhren in meiner Freizeit auseinander zu bauen

und mit Hilfe von mehreren Pinzetten den Versuch zu unternehmen, diese dann wieder zusammen zu setzen.

Meist schlug dieser Versuch fehl, doch ich mochte nicht aufhören mit meinem autistischen Hobby.

Der neue Junge wollte aber einem Fremden seine voll funktionstüchtige Uhr nicht geben, was ihn und seine Uhr für mich noch reizvoller werden ließ.

Von diesem Moment an verband uns eine Freundschaft, die bis zum heutigen Tag an Innigkeit stetig zugenommen hat. Manchmal nahm die Freundschaft an Innigkeit auch ab, dann wieder zu, der Jojo-Effekt setzt halt nach einer Zeit ein. Beide Teile dieser Freundschaft waren nämlich mit einer besonderen Güte von Witz, Intellekt und Diskussionsfreude gesegnet und

setzten diese Fähigkeiten bisweilen auch bis zur Schmerzgrenze gegen einander ein, besonders wenn es um verehrenswerte Mädchen ging. Aber wie es in einer echten Freundschaft nun einmal ist, die Mädchen, liebe

Freunde, die Mädchen gingen, aber die Freundschaft blieb. Heute beherbergt der noch zu nennende ideale Zeitgenosse einen Großteil meines Hausrates auf einem seiner zahlreichen Dachböden und obwohl das nicht hierher gehört, tut er dies vollkommen unentgeltlich. Und um den Beweis für das eben gesagte anzutreten, er beherbergt meines Wissens keinen einzigen Hausstand einer verflossenen Liebsten auf einem seiner zahlreichen Dachböden! Die mit Hilfe seines Vaters angelegte Fähigkeit aus mehreren alten Damenfahrrädern ein rassiges Liegefahrrad herzustellen, hat er übrigens bis heute weiter perfektioniert. Er bewohnt mit seiner mehrere Köpfe starken, selbstgezeugten Familie ein solches ehemaliges Damenrad. Und nicht nur ein Damenrad, sondern daraus hat er in liebevoller Kleinarbeit ein herrliches, rosa Einhorn mit Rädern dran gemacht und schönen Lichtschaltern. Dies ist natürlich metaphorisch gemeint. Selbstverständlich sind normalerweise an Einhörnern keine Lichtschalter. Die Wissenschaft ist sich ja sogar immer noch uneinig, ob es Einhörner überhaupt gibt. Obwohl doch jeder schon mal Eines bei sich im Garten hatte und es mit abwehrenden Handbewegungen versucht hat daran zu hindern, die Rosen abzukauen. Apropos Einhorn, als der schon mehrmals, demnächst mit Namen genannte, mit dem Einrad zu der einen Fete fuhr, lief ich selbst nebenher oder ritt auf einem Einhorn oder einem Skateboard, denn obwohl es nicht zu übersehen ist, dass ich das eine oder andere Fettpölsterchen mit mir herumtrage, bin ich einst gern auf einem Skateboard gestanden, jedoch wurde schnell klar, dass aus dieser Herangehensweise oder besser Heranfahrensweise keine anständige Trinkerkarriere werden konnte. Und so kam es dann auch wie es kommen musste, gemeinsam fuhren wir vollkommen nüchtern von dieser und auch anderen Festen wieder Heim. Nur einmal fiel er oder ich betrunken eine mehrstufige Treppe herunter und wunderten uns beide, dass wir uns nichts gebrochen hatten. Später erlernte der Eine oder Andere von uns auch die Fahrerlaubnis für ganz unterschiedliche Fortbewegungsmittel. Der sehr bald namentlich zu nennende erhielt, wahrscheinlich aus Mitleid des langen Schulweges wegen, von einem mir nicht bekannten aber gütigen Fahrlehrer die Erlaubnis einen Roller zu bedienen. Aber gemeint ist hier kein Tretroller, wie ihn die uns zuhörenden Kinder tagtäglich betreten, sondern ein motorisierter. Einen solchen trieb der, den in diesem Briefumschlag tragenden Namen, bald auf und nahm sich ein Beispiel an mir und meinem Uhrenfimmel. Er nahm sich nicht nur meinen

Fimmel zum Vorbild, sondern den erworbenen Roller zur Gänze auseinander. Die Pinzetten waren nur etwas grösser, sonst war aber alles ganz gleich. Es blieben wohl auch nach der Wiedervereinigung der Teile einige Zahnräder über. Aber das störte auf dem Hinweg zur, als extrem unzugänglich liegenden und zudem noch teuren, Privatschule nicht. Der Rückweg wurde jedoch, nachdem der – und unsere Sendezeit ist wirklich bald vorbei – deswegen tatsächlich bald genannt Werdende, die erste Kurve genommen hatte und außer Sicht war, schiebend beendet. Das nach Hause Schieben des schönen Rollers war sicher beschwerlich, jedoch nicht so beschwerlich wie das Herumstehen in, mit den bereits erwähnten Naziparolen beschmierten stets nassen, Bushaltehäusschen, weshalb gern und häufig geschoben wurde. Bald wurden aber weitere Fortbewegungsmittel erschlossen, weshalb der schöne Roller heute, zwar noch immer angemeldet, in einer noch zu keinem Einhorn gewordenen Ruine, auf eine weitere Spritztour harrt. Mit den neu erschlossenen Fortbewegungsmitteln hätte man Freunde in entfernten mittelgroßen Städten besuchen können, doch dazu kam es äußerst selten. Häufig kam es zu Absagen durch die Mutter, nachdem die Freunde Ihre gesamten Ersparnisse frohlockend in Schinken-Käsechips und Bier investiert

hatten, da auf dem Wege zu den Chipsvertilgungstreffen, Kühe oder Haarwild per Kühlerhaube erlegt wurden. Es besserte sich erst, als die Schinkenchips kaufenden Freunde gegen Mädchen, die ganz umsonst Brüste vorne dran hatten, eingetauscht wurden. Seitdem wurde nicht länger während der Fahrt auf die Strasse überquerendes Großwild gezielt.

Vielleicht wegen des verliebten Schielens auch einfach verfehlt.

"Hier fuchtelt gerade ein Praktikant der dieser Sendung ausstrahlenden Sendung angehörigen, äh, Firma mit einem Pappschild auf dem, wegen des nervösen Gefuchtelt schwer zu lesen steht "Popstar!" Auch so, jetzt kommt noch einmal der eben schon singend seine Kunst zum besten gegeben habende Popstar und wie ich sehe – warten Sie, der Praktikant hält ein weiters Schild hoch auf dem steht: "Es heißt Volontär!" Der Popstar singt jedenfalls der Einfachheit halber den selben Popsong noch einmal. Bis gleich–!

(Musik)

Da sind wir ja wieder und ich freue mich, ganz außerordentlich, ihnen in Kürze den Namen, auf den wir alle solange warten mussten, nennen zu dürfen. Nur noch eines zur Vervollständigung des von mir hoffentlich nicht zu ausführlich beschriebenen baldigen Würdenträgers. Denn obwohl biographisch interessant, sehr viele Fahrräder im Lebenslauf des bald von mir preisgegebenen Namensträgers vorkommen, ist es nicht Jan Ullrich, der ja zu recht schon länger leider keine derartigen Preise entgegen nehmen konnte oder einer dieser Clowns aus dem Zirkus, die

immer auf so immer kleiner werdenden Fahrrädern, wo die dann aus einem Koffer immer ein noch kleineres Fahrrad nehmen, und damit durch die Manege radeln. Der Ideale Zeitgenosse ist noch nicht mal besonders sportlich, obwohl er so aussieht, als würde er häufig leibesertüchtigende Übungen machen. Ich kann mich nur an zwei Male erinnern, wo wir definitiv mit "normalen" Fahrrädern gefahren sind! Eine Radtour in das benachbarte Ausland war das eine Mal und dann wieder zurück. Obwohl ich mir da schon nicht mehr sicher bin. Jedenfalls lautet der Name des von mir überaus hoch geschätzten Preisträgers und zufällig auch alten Freundes auch in diesem Jahr wieder –

Und nun das Heutejournal mit Wilhelm Wieben.

Christoph Alberti zum 06.06.2015 für J.J.

 

Demnächst wird hier wohl ein Text erscheinen müssen, in dem vom braten eines Spiegeleis die Rede sein wird.

 

 

 

 

 

 

©Christoph Alberti | all rights reserved